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Unter den Teppich gekehrt – Iranische Weberinnen erzählen ihre Geschichte

Farbenfroher Teppich im Rautenstrauch-Joest-Museum, Lebensbaum, Vögel, Trauben, Menschen

Ein Sonntag im November, ein Sonntag wie so viele im November in Deutschland. Grau. Machen wir den Tag doch etwas bunter, dachten Britta und ich uns. Ein Besuch im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt sollte Abhilfe schaffen. Bunter wurde es auf jeden Fall, fröhlicher nicht unbedingt – oder doch! Ein Besuch bei acht Weberinnen aus dem Iran.

Mitbestimmung? Fehlanzeige.

»Ich habe als Maschine begonnen und während des Projektes angefangen, meinen Körper zu fühlen.« Diesem Satz, der von einer der Weberinnen aus der Provinz Nord-Khorasan im Nordosten Irans stammt, ist wenig hinzuzufügen. Seit Jahrhunderten knüpfen Frauen in Iran, Afghanistan, Pakistan Teppiche, um den Lebensunterhalt ihrer Familien zu sichern. Meist kennen sie ihre Auftraggeber nicht, bleiben auch für sie komplett gesichtslos, anonym. Kreativität spielt bei diesen Aufträgen keine Rolle, die Frauen arbeiten ihre Aufträge ab – wie Maschinen eben. Mitbestimmung bei den Mustern, den Farben? Fehlanzeige.

Doch hier ist alles anders. Am Eingang der Ausstellung empfangen uns die üblichen roten ›Perserteppiche‹, die vermutlich jede und jeder von den Eltern daheim kennt. Sie schmück(t)en Wohn- und Esszimmer, waren meist dunkel und oft, meinten wir zumindest als Jugendliche, nicht besonders schön. Fast jeder Haushalt hatte einen, galt der Teppich doch als Symbol für Luxus und Komfort bei der Mittelschicht. Wer ihn gewebt hatte? Interessierte niemanden. »Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wer den Teppich gewebt hat, über den Sie gerade gehen?« – ist eine der Fragen, die am Anfang der Ausstellung WE ARE NOT CARPETS – Ich erzähle dir meine Geschichte gestellt werden.

Selbst kreativ werden

Daher ist diese Ausstellung auch eine »Geschichte von Kolonialismus, Gewalt und Ausbeutung«, erklärt Simone Pfeifer, die zu Medienanthropologie an der Uni Köln forscht und Mitkuratorin der Ausstellung ist. Das Weben macht die Frauen zu Sklavinnen. Sie müssen das Geld für ihre Familien verdienen, doch gleichzeitig macht diese Arbeit sie nicht unabhängig, sondern unterdrückt sie immer weiter. Erschwerend kommt hinzu: Von dem hart verdienten Geld haben sie selten etwas, das geben oftmals die Männer aus – ohne sie zu fragen, wofür.

»Ich habe als Maschine begonnen und während des Projektes angefangen, meinen Körper zu fühlen«, erzählt eine der Weberinnen. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Auf einem Video ist zu sehen, wie eine Frau an einem Teppich arbeitet, im Rautenstrauch-Joest-Museum
Müde vom harten Tagwerk – das Baby in der Wiege immer dabei.

Die Ausstellung WE ARE NOT CARPETS ist ein Langzeitprojekt, das vom Global South Studies Center der Universität zu Köln und dem Forschungsprojekt »Weaving Memories« der Universität Gent wissenschaftlich begleitet wird. Den Weberinnen wird hier die Möglichkeit gegeben, ihre persönlichen und sonst verborgenen Geschichten zu erzählen. Die Frauen werden selbst kreativ und erstellen Skizzen, die als Vorlage für IHRE Teppiche dienen – ein Akt, der so sonst nicht stattfindet. Die Weber:innen bekommen die Muster von ihnen unbekannten Designer:innen und haben diesen zu folgen.

»Die Schönheit jener Teppiche, die vom Designer entworfen wurden, liegt im Design.
Aber die Schönheit dieses Teppichs liegt in meinem Herzen.«
Anne Beik Koohi

Hier habe ich die Macht!

WE ARE NOT CARPETS untersucht die jahrhundertelange systematische Marginalisierung und Ausnutzung von Teppichweber:innen. Und zeigt, was passiert, wenn sie ihre eigenen Geschichten weben und nicht die von Auftraggeber:innen bestellten Designs. Eine der Weberinnen aus Nord-Khorasan bildet in ihrem Kunstwerk die Unterdrückung durch den Onkel ab. Sie stellt sich selbst mit ihrer Mutter und den Geschwistern dar – der Onkel sitzt daneben im Gefängnis. Auf dem Teppich bestimmt sie, welche Rolle jede und jeder in ihrer Familie einnimmt. »Hier habe ich die Macht«, sagt sie über ihr Werk. Der Teppich einer anderen Frau, der Kelimweberin Sibgot Skefifteh, zeigt die Geschichte der Migration. Ein Kunstwerk, ein Wunderwerk.

4 farbenfrohe Teppiche in Webrahmen gespannt im Rautenstrauch-Joest-Museum
Die Gemeinschaftsausstellung von Weber:innen und Forscher:innen aus Iran und Deutschland »WE ARE NOT CARPETS – Ich erzähle dir meine Geschichte« zeigt einzigartige persönliche Teppiche und die Geschichten dahinter.

Eingerahmt werden die Teppiche von Video- und Audioaufnahmen, die die Weberinnen in ihrer Heimat, ihrem Zuhause zeigen: die Bedingungen, unter denen sie die Teppiche herstellen – immer beengt, immer unter Zeitdruck, immer mit der Familie um sich herum. Im Kreis ihrer Kinder, die ganz jung ans Teppichweben herangeführt und wiederum ausgenutzt werden, ein teuflischer Kreislauf. Einige der Frauen berichten aber, das Projekt habe sie verändert, stärker gemacht.

Unter den Teppich gekehrt

Zurück auf Anfang. Wir werden von einer Besucherin darauf hingewiesen, doch mal unter die Perserteppiche zu schauen – hier werde etwas unter den Teppich gekehrt. Und tatsächlich: Unter den Teppichflicken, die aus den Perserteppichen herausgeschnitten wurden, liegen Dokumente und Fotos. Eines interessanter (und verstörender) als das andere. Hier ein Hinweis auf Kinderarbeit, dort ein Dokument aus dem Jahr 1946, das auf die Arbeitsbedingungen der Arbeiter:innen im iranischen Kerman und auf Probleme wie unzureichende Sitzgelegenheiten hinweist.

Unter den Teppich damit?

»Sowohl die sehr feinen Teppiche als auch die Schals sind das Produkt von Kinderarbeit, da das feine Weben nur von kleinen Fingern ausgeführt werden kann.«

»Nach getaner Arbeit klatscht der Aufseher in die Hände und die Kinder, die es können, klettern herunter und eilen davon, aber viele bleiben sitzen und warten darauf, dass jemand kommt und sie herunterhebt.«

(beide Zitate: Clara Colliver Rice, 1923)

Ein Eintrag im Gästebuch wird spätestens hier verständlich: »Ich habe geweint. Fühle Dankbarkeit, einen kurzen und doch tiefen ? Eindruck in das Leben, den Schmerz und die Freude von euch bekommen zu haben. Ein seltsames Gefühl, nichts zurückgeben zu können.« Wer mag und etwas Geld zur Verfügung hat, kann einen der Teppiche käuflich erwerben. 60 Prozent des Erlöses gehen direkt an die Weberin.

Die Weber:innen, denen die Ausstellung WE ARE NOT CARPETS ein Gesicht gegeben hat, sind: Asie Davari, Zoleikha Davari, Anne Beik Koohi, Masoomeh Mohammadi, Rabe‘ Rahimi, Saheb-Jamal Rahimi, Sibgol Shekofteh und Masoumeh Zolfaghari.

>> Tipp: Die Ausstellung ist noch bis zum 5. Januar 2025 im Rautenstrauch-Joest-Museum zu sehen. Es finden Führungen und Workshops statt.

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